Sterbebegleitung – die letzte Reise

29.10.2022
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Vor mittlerweile 8 Jahren hat sich mein Leben nachhaltig verändert, begonnen mit der Sterbebegleitung meiner Oma. Ich möchte Dich einladen, mit mir auf eine Vergangenheitsreise zu gehen und Dir zeitgleich sagen: es wird emotional und deep.

Vor 8 Jahren bekam ich einen Anruf vom Krankenhaus nach der OP meiner Oma, die für sie lebenswichtig hätte sein sollen. „Ihre Oma möchte nicht mehr, bitte kommen Sie so schnell als möglich, um sich zu verabschieden.“ Das saß, ich verstand erst mal gar nichts. Meine Oma hätte sich schnell erholen sollen und es wurde doch gesagt, danach geht es ihr besser.

Ich war so verwirrt, dass ich über einen Umweg zu meiner Oma in’s Voralpenland fuhr. Nach und nach realisierte ich, was die Worte des Arztes am Telefon nun bedeuten würden: Sterbebegleitung für meine Oma. Ich verlor einen weiteren geliebten Menschen, einen der wichtigsten in meinem Leben.

 

Sterbebegleitung

Meine Oma lag ganz ruhig in ihrem Bett, die Haare mittlerweile schneeweiß (sie war immer sehr bedacht darauf, akkurat gefärbte Haare zu haben: rot, blond, aubergine…) und der Körper erschöpft. Sie erkannte mich, war aber mental sehr müde und reagierte kaum. Die Stunden vergingen und ich bemühte mich, sie zum Trinken zu bewegen und sie mit fröhlichen Erinnerungen emotional zu wärmen.

„Da steht er!“, sagte sie auf einmal und deutete auf eine Ecke direkt hinter mir. Ich wusste sofort, wen sie meinte. „Opa, da ist er!“. Ich spürte ihn ebenfalls. Mein Opa ist zu diesem Zeitpunkt seit 16 Jahren tot und war sowohl für meine Oma als auch für mich keinen Tag vergessen. Sein Verlust war einer meiner ersten und bis zu diesem Tag schwersten Schicksalsschläge.

Mir war sofort klar, dass meine Oma gehen darf und ich nun Sterbebegleitung leisten darf. Eine großes Geschenk, einen geliebten Menschen auf seiner letzten Reise in seinen letzten Erdenstunden begleiten zu dürfen. Eingehüllt in Liebe und wertschätzender Energie.

Weißbier für die letzte Reise

Der junge, diensthabende Arzt schaute zum Schichtwechsel vorbei und nahm mich zur Seite. „Wie geht es ihnen? Gibt es etwas, das sie noch für ihre Oma tun möchten?“

Ich fragte ihn direkt, ob er mir ein Weißbier für sie bringen könne. „Ich werde sehen, was ich tun kann.“ (meine Oma liebte Weißbier, dass genoß sie immer sehr)

Es dauerte ein wenig, bis er mit einem Flötzinger Hell (an dieser Stelle mache ich gerne Schleichwerbung) aus einem der Schwesternzimmer zurück. „Das geben wir gerne an ihre Oma ab.“ Ich zog eine Schnabeltasse aus dem Schränkchen und war gerade dabei, das Bier einzuschenken, als die Schwester kam und meinte: „nein, Frau Bauer wird das Bier nicht aus einer Schnabeltasse trinken- nicht runter meiner Obhut. Ich bringe ihnen ein gescheites Bierglas!“

Es war eine fröhliche und relativ gelöste Stimmung, die Schwester war gut drauf und hielt den Raum für uns emotional. An dieser Stelle erneut ein herzliches Dankeschön an die Intensivstation des Rosenheimer Krankenhauses. Meine Oma sah mich immer noch völlig verständnislos an, als ich ihr sagte: „jetzt gibt’s noch a Bier, Oma“. Ein für sie so typischer Blick, mit einer Mischung aus spöttischer Ungläubigkeit und einen verschmitztem Lächeln.

Wenig später führte ich das Bierglas an ihren Mund.

„Kennst du Flötzinger Bräu schon, Oma?“

„Nee!“, sagte sie, immer noch ungläubig, dass sie gleich noch ein Bier trinken wird. „Wie schön, dann lernen wir beide noch was Neues kennen!“, erwiderte ich.

Sie nahm einen recht kräftigen Schluck, hat kaum runtergeschluckt und stoß ein genüssliches „oh, ist das lecker!“ aus. Es war so süß und echt, meine Mama, ich und die Schwester mussten innbrünstig lachen.

Ich glaube das war der Moment, in dem meine Oma komplett loslassen konnte. Der letzte Krampf setzte ein, sie wurde beruhigt. Wenig später sah sie mich lächelnd an, ihre Augen wanderten zur Decke des Raumes- es hört sich kitschig an, aber es war, als ob der Raum heller wurde- und sie trat ihre Reise an. Biiiiiiieeeeeeeeep.

Das Geschenk in der Trauer

Ich weine, während ich das schreibe. Aus Trauer, Dankbarkeit und Demut. Diese Sterbebegleitung hat mich nachhaltig verändert und meinen Blick auf das Sterben für immer verändert. Meine Oma hat mir im Leben bis zu ihrer letzten Sekunde auf Erden und noch weit darüber hinaus so wichtige Lektionen gelehrt. Ich werde ihr für immer dankbar dafür sein. Sie hat mein Leben mit am meisten geprägt und beeinflusst. Mit ihrer unbändigen Lebenslust und Hoffnung, ihrer Sturheit und einem großen Durchhaltevermögen, Pragmatismus und naiven Leichtigkeit, ihrer Offenheit Menschen, Tieren und dem Leben gegenüber, ihrem unfassbaren Mut und ihrer Größe.

In den 60-iger Jahren ging sie nach ihrer Ausbildung in Hamburg auf ein Schiff und fuhr alleine nach New York, um dort als Au Pair zu arbeiten. Danach folgten Jobs bei Coca Cola und am Broadway an der Kasse. Sie war ein starker und gleichzeitig so zarter Mensch. Ich liebte sie und liebe sie noch heute, an dem einzelnen Tag.

Gleichzeitig bin ich dankbar für eines der größten Geschenke, die ich durch sie erfahren durfte: wir sind nie allein. Selbst in den Stunden unserer letzten Erdenreise sind wir nicht allein. Wir haben Erinnerungen an all das, was wir im Leben erfahren durften. All das, und NUR das, nehmen wir mit. Und darauf kommt es an, denn es sind nur diese feinstoffllichen Energien, die uns bleiben und in den Hinterbliebenen weiterleben.

Zu diesem Zeitpunkt war mir nicht bewusst, was mir noch alles bevorstand. Für mich begann ab dieser Nacht ein langer Leidensweg. Mehr dazu in einem anderen Post.

Verlust nahestehender Angehöriger

Falls Du Dich oder Angehörige von Dir derzeit in einem Trauerprozess befinden, will ich Dir mitgeben: Du bist nicht allein. Auch wenn die Welt um Dich herum immer dunkler werden zu scheint und der Schmerz tief im Herzen bohrt, Du bist nicht allein. Es gibt Unterstützung und Hilfsangebote: Gruppentreffen, sozialpsychiatrische Dienste, Psychotherapeuten, Trauerbegleiter und lenke Dich auch hin und wieder ab mit Filmen, Musik und Dingen, die Deinen Fokus auch mal wieder auf stumpfen Blödsinn richten können.

Inspirationen hierzu findest Du in meiner Glücksbibliothek. Erlaube Dir, aus den Tiefen der Trauer immer wieder aufzutauchen und wieder an der oberflächlichen Schicht des Lebens zu kratzen- ich habe mir das oft verweigert und gedacht, ich muss mich in die Trauer reinzwingen, da ich sonst z.B. den Toten verleugne oder nicht wertschätze.

Vermutlich schätzen wir sie sogar noch mehr, da wir das Leben und den Tod als ein Ganzes sehen und lernen, wie wichtig jeder gelebte und bewusst gespürte Tag ist.

In meinem Leben bin ich durch mehrere Trauerprozesse durchgegangen und eines war immer gleich: es war wichtig, mich mitzuteilen und Hilfe anzunehmen, nach Hilfe zu fragen. Das musste ich lernen, da es mir unglaublich schwer fiel- aber es war heilsam. Wir müssen nichts alleine schaffen.

Bitte wende Dich an Andere oder steh jemandem bei, der trauert. Einfach, indem Du präsent bist. Ohne zu erwarten, dass Deine Hilfe angenommen wird. Akzeptiere, dass jeder seine Zeit braucht. Jeder Mensch trauert auf seine Art- es gibt hier kein richtig oder falsch. Ungefragt einen Obstkorb vorbeibringen, Blumen schicken, eine Karte auf der steht: ich bin da.

Einladen statt aufdrängen.

Warten statt erwarten.

Alles Liebe für Dich.

Über die Autorin

Alexandra Christina Bauer Jahrgang 1986 ist therapeutischer Life Coach und Heilpraktikerin für Psychotherapie aus München.

In den letzten Jahren hat sie auf längeren Reisen Asien, Zentralamerika und Hawaii kennengelernt und von anderen Kulturen viel in Bezug auf Achtsamkeit und Spiritualität lernen dürfen. Auf ihren Reisen sind ihr viele Menschen begegnet, die alle zusammen gleichermaßen auf der Suche nach einem zufriedenen Leben waren.

In ihrer täglichen Arbeit zeigt sie Menschen aus aller Welt, wie es ihnen gelingt, mit einfachen Übungen und durch einen Perspektivenwechsel wieder mehr Balance und Freude zu empfinden.

Alexandra Christina Bauer weiß selbst aus Ihrer mehrjährigen Tätigkeit als Steuerfachangestellten, Office Managerin und Ausbilderin, was es bedeutet, unter einem stressigen Alltag zu leiden. Schon frühkindliche Erfahrungen haben sie stark geprägt, tiefgreifende Verluste und emotionale Misshandlungen ihren Weg begleitet. Durch Therapieerfahrung und eigene Strategien hat sie einen Weg gefunden, der es ihr heute ermöglicht, positiv im Hier und Jetzt zu sein und mit Ängsten und Sorgen leichter umgehen zu können.

Authentisch und mit Freude erarbeitet sie zusammen mit ihren Klienten individuelle Strategien und Wege, um mit Konflikten, Verlusten, unbefriedigenden Jobsituationen oder generell einer unzufriedenen Lebenssituation wieder mit Leichtigkeit umgehen zu können.