Für mich war Weihnachten lange Zeit sehr schwierig. In meiner Familie sind seit ich ein kleines Mädchen war schon sehr viele Familienmitglieder entweder sehr krank geworden, oder sogar gestorben. Ich kann mich an kaum ein Weihnachten erinnern, an dem wir nicht getrauert hätten. Dazu noch die dunkle Jahreszeit- für mich war es einfach immer eine Zeit, die ich schnell rumbringen wollte. Wer mir schon länger auf diesem Blog folgt, weiß vielleicht, dass auch meine Beziehung zu meinem Vater nicht immer die einfachste war.
Im Gegenteil, es gab Zeiten, da konnten wir nur noch miteinander kommunizieren, indem wir uns angeschrien haben- oder per Anwalt. Weihnachten haben wir bisher nur in den ersten zwei Jahren meines Lebens zusammen verbracht, danach ließen sich meine Eltern scheiden.
Vor fünf Jahren dann gab es einen weiteren, sehr schweren Schicksalsschlag in meiner Familie. Meine geliebte Oma war lange krebskrank, sie gab den Kampf auf. Sie starb in meinen Armen. Es war einer der bewegendsten Momente in meinem Leben und ich bin so dankbar dafür, dass ich sie auf ihrem letzten Weg begleiten durfte. Sie sah so friedlich aus, als sie ging. Sie lächelte und ihre Augen waren ganz klar. Es war ein Moment gefüllt mit Würde, Liebe und unglaublicher Schönheit.
Der Schmerz packte mich kurze Zeit später, als ich bemerkte, was gerade passiert war. In ihren letzten Minuten war sie sehr ruhig, ihr Blick veränderte sich- auf eine ganz besondere Art und Weise. Diesen Moment werde ich nie vergessen und er wird mich immer daran erinnern, dass loslassen nicht das Ende ist. Dass lieben aber auch loslassen bedeutet.
Dieser Moment brachte leider viel Leid mit sich in unserer Familie. Es gab furchtbaren Streit, Gerichtstermine, alles schien in sich zusammen zu brechen. Nach einem halben Jahr fand der letzte Notartermin statt und ich flog direkt danach mit einem One-Way-Ticket nach Vietnam- mit einem kleinen Handgepäcksrucksack. Dort begann meine Transformation von Opferhaltung zu Eigenverantwortung, von Verdrängung zu Aufarbeitung, von Unzufriedenheit zu Aktivismus, von einem kleinen traurigen und oft zornigen Mädchen zu einer selbstbewussten Frau.
Ich habe in den darauffolgenden Jahren auf meinen Reisen und in München viel aufgearbeitet, mir Hilfe von außen durch Coaches und eine Therapeutin geholt und zum zweiten Mal in meinem Leben eine intensive Psychotherapie gemacht. Das alles und meine Ausbildungen zur Gesprächstherapeutin und zum Life Coach haben mir dabei geholfen, mein Leben um 180° zu drehen.
Auch auf die Beziehung zu meinem Vater hatte das eine starke Auswirkung. Wir hatten über ein Jahr keinen Kontakt mehr, bis ich verstand: wenn ich in Frieden leben will, muss ich vergeben. Das hat nichts mit vergessen oder verdrängen zu tun. Vergebung findet für mich statt, für meine Gesundheit, für meinen Frieden. Ich wollte nicht mehr „hassen“, streiten, schreien. Ich war es so leid, ständig nach der Liebe meines Vaters (und allen anderen Männern in meinem Leben bis dahin) zu kämpfen, dass ich den Kampf aufgab und die Wege Fahne hisste.
Eines abends meditierte ich mit Mojo Dis Herzchakrameditation über eine halbe Stunde lang. Ich habe mir Zettel und Stift schon bereit gelegt, da ich alles aufschreiben wollte, was danach aus mir raus musste. Ich schrieb meinem Vater einen Brief- einen sehr ehrlichen Brief. Unter Beachtung von allem, was ich in wertschätzender Kommunikation gelernt hatte.
Es floss nur so aus mir raus und ich merkte, wie ich mich veränderte, meine Haltung sich änderte und ich wurde ruhig. Als ich den Brief im Briefkasten einwarf (der Moment war da, ich war ready dafür), hatte ich keinerlei Erwartungen. Ich war zum ersten Mal frei von Erwartungen an andere und an mich. Ich wusste, ich darf jetzt loslassen.
Eine Woche später erhielt ich einen Anruf. Schon beim ersten Ton bemerkte ich eine Weichheit in der Stimme meines Vaters, die ich bis dahin, bis zu meinem 30. Lebensjahr, nicht kannte. Er war sehr lieb, fast schon demütig und wir sprachen eine Weile. Das ist nun 3 Jahre her. In den drei Jahren haben wir vieles miteinander durchgemacht und erlebt- fast, als hätte mein Vater noch ein mal in vielen Dingen für sein „kleines Mädchen“ da sein können. Wie er es früher aus verschiedensten Gründen nicht konnte. Unsere Beziehung konnte sich entwickeln. Heute haben wir einen sehr regelmäßigen und wertschätzenden Kontakt miteinander. Ich freue mich, wenn wir uns sehen. Ich konnte meine Liebe zu meinem Vater endlich leben und wusste, ich muss nichts dafür tun, um geliebt zu werden. Das war der Game Changer in meinem Leben.
Dieses Weihnachten nun haben alle meine Eltern (patchwork, ahoi: Mama, Stiefpapa, Papa, Stiefmama) und ich zusammen an Weihnachten gefeiert- so, wie ich es mir gewünscht hatte. Ein schöner Brunch am 24.12.. Wir haben gegessen, gelacht, geredet und es war eine so schöne Atmosphäre voller Liebe und gegenseitigem Respekt- schöner hätte ich mir das erste richtige Weihnachten mit meiner ganzen Familie nicht vorstellen können. Was früher undenkbar war, ist heute schöner denn je…
Ich schreibe das alles öffentlich, weil ich will, dass Du und andere Mut daraus schöpfen können. Ich will anderen Hoffnungen geben und zeigen, dass wir so vieles in der Hand haben, dass Hilfe hilft, dass Psychotherapie wirkt. Wenn wir unsere Beziehungen zu unseren Eltern aufarbeiten, können wir unser Leben ändern.
Diese Zusammenführung von Tochter und Vater hat nicht nur dazu geführt, dass ich auch beruflich endlich den Weg gehe, der für mich stimmig und authentisch ist. Es hat ebenso dazu geführt, dass ich Themen mit meiner Mama angehen konnte (obwohl ich immer dachte, da gäbe es nichts). Am allermeisten jedoch profitiert meine innere Ruhe und die Beziehung zu meinem Partner davon. Ich habe einen wundervollen Mann an meiner Seite, der empathisch und liebevoll ist, der auch Feuer unterm Hintern hat und mich versteht, mit dem ich so sein kann, wie ich bin. Wie ich wirklich bin.
Das konnte ich bis dahin nie. Ich war immer gehemmt. Ich war immer unsicher. Ich habe nie mein Herz ganz aufgemacht, habe gemauert und immer Distanz gehalten. Selbst in jahrelangen Beziehungen konnte ich nicht all in gehen. Ich bin mir immer noch dankbar, dass ich diesen Schritt gegangen bin und für Frieden in meinem Leben gesorgt habe.
Die Beziehung zu unseren Eltern ist unglaublich wichtig- auch wenn uns dies oft nicht so erscheint, da sie uns verletzt oder sehr stark geschadet hat. Ich sage auch nicht, dass alles verziehen werden kann. Ich arbeite mit Klienten, bei denen ziehe ich meinen Hut, dass sie ihr Schicksal tragen können und den Mut aufbringen, sich mir anzuvertrauen. Bei dem, was ich oftmals in Sitzungen höre, frage ich mich auch immer wieder, wie viel ein Mensch allein aushalten kann. Aber ich weiß auch, dass wir alle stark sind- wenn wir uns alleine nicht stark fühlen, zeugt es schon von unglaublicher Stärke, sich Hilfe zu holen.
Ich wünsche Dir frohe Weihnachten und hoffe, Du verbringst die ruhigen Stunden mit Menschen, die Du liebst. Und ich wünsche mir für Dich, dass Du auch zu diesen Menschen gehörst.
Alles Liebe,
Alexandra